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Chronik

 Kein Hamburger Hafenschlick nach Bovenau/Sehestedt

 

Am 18. Juli 1999 löste sich die BIS („Bürgerinitiative Sehestedt gegen den Hamburger Hafenschlick“) mit einem großen Fest im Freizeitpark Sehestedt nach acht Jahren auf. Gefeiert wurde der erfolgreiche Widerstand des Dorfes gegen die geplante Hafenschlickdeponie im Gemeindegebiet Bovenau in Sichtweite Sehestedts, der mit dem offiziellen Verzicht der Landesregierung Schleswig-Holstein auf die geplante Deponie Bovenau endete.

Dieser Erfolg war nur möglich durch den unermüdlichen gemeinsamen Kampf aller Betroffenen aus den umliegenden Gemeinden, die in zahlreichen Aktivitäten, Niederlagen und Erfolgen gipfelte. Anlaß für die Gründung der BIS im Frühjahr 1992, die spontan im Anschluss an eine Informationsveranstaltung erfolgte, war die Benennung der Gemeinde Bovenau, neben fünf weiteren Gemeinden (Brunsbüttel, Dingen, Süderhastedt, Dammfleth und Krempdorf), als möglicher Deponiestandort für Hamburger Hafenschlick.

Nachdem 1993 das schleswig-holsteinische Umweltministerium den Standort Bovenau, nicht zuletzt aufgrund der verkehrsgünstigen Anbindung an den Nord-Ostsee-Kanal ausgewählt hatte, verstärkte sich der dörfliche Widerstand von Sehestedt und Bovenau gegen den Beschluß der Landesregierung. Große Tafeln am Ortseingang mit Parolen wie „Keinen giftigen Hamburger Hafenschlick an den NOK“ sowie zahlreiche, auffällig gelbe von der BIS entworfene Stellwände in den Vorgärten prägten das Sehestedter Dorfbild und machten den Durchfahrenden den Widerstand des Dorfes deutlich.

Vorgeschichte: Bereits 1984 hatten sich die damalige CDU-Landesregierung Schleswig-Holsteins, sowie das Land Niedersachsen, in einer Rahmenvereinbarung mit dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg bereit gefunden, zur Sicherung der Hafenfunktion Hamburg in den beiden Bundesländern Ablagerungsmöglichkeiten für Baggergut-Teilmengen aus dem Hamburger Hafen zu schaffen. Vorgesehen waren 200.000 Kubikmeter, entsprechend 300.000 Tonnen, pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren. Im Gegenzug wurde als Leistung Hamburgs das Hamburger S-Bahnnetz bis Norderstedt ausgebaut. Deshalb fühlte sich Schleswig-Holstein, trotz dieser zunächst unverbindlichen Vereinbarung, verpflichtet Hamburg bei der Entsorgung des Hafenschlicks zu unterstützen.

Bei Hafenschlick handelt es sich um natürliche Flußablagerungen, die die Elbe im Form von Sand und feineren Feststoffen sowie organischen Substanzen, vor allem abgestorbene Reste pflanzlichen und tierischen Lebens, mit sich führt. Aufgrund des Schadstoffeintrags aus Abwässern von Industrieanlagen der ehemaligen Ostblockländer, war der Hafenschlick mit erheblichen Schadstoffgehalten an Arsen, Cadmium, Quecksilber und Zink sowie Dioxin belastet, so daß eine Verklappung des Baggerguts von Schiffen in die Nordsee oder eine Lagerung auf Spülfeldern aufgrund der Überschreitung der Grenzwerte nicht mehr zulässig war. Stattdessen wurde geplant, den Hafenschlick in einer Hügeldeponie bis zu 25 Meter hoch aufzuschütten. Die sich daraus ergebenden Umweltbelastungen durch Umwelt- und Landschaftseinwirkungen, wie Schmutz, giftiger Staub, Lärm der Betriebsfahrzeuge, Grundbruchgefahr und Grundwasserverseuchung, hätten aus Sicht der BIS zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung der Anwohner geführt.

In teilweise spektakulären Aktionen, wie der Behinderung des Fährtransports über den Nord-Ostsee-Kanal oder vor dem Landeshaus, wurde eindrücklich immer wieder die Angst der Bürger vor einer Hafenschlickdeponie Bovenau in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Zahlreiche Fernsehdokumentationen und ein Videofilm belegen die vielen Informations- und Diskussionsveranstaltungen, die trotz teilweise heftiger Wortauseinandersetzungen mit dem damaligen parteilosen Umweltminister Berndt Heydemann immer von Gewaltlosigkeit und der Beteiligung von Jung und Alt geprägt waren. Zum Symbol des Widerstandes gegen Hafenschlick wurde der mit Parolen verzierte Umhang von Rita Koop, den sie von Anfang an, seit 1994 auch in ihrer Funktion als Bürgermeisterin, bei allen Demonstrationen trug. Er wird heute im Dorfmuseum aufbewahrt.

Aufgrund der Ablehnung aus der Bevölkerung wuchs auch in Schleswig-Holstein der Druck, alternative Entsorgungskonzepte zu entwickeln. Aufgrund des Gefährdungspotentials verzichtete die Niedersächsischen Landesregierung frühzeitig auf eine Landdeponie. Statt dessen wurde vorgeschlagen, den Hafenschlick in einer Salzkaverne des Unternehmens Dow-Chemical in Stade einzulagern.

Zwischenzeitlich konnte durch Verbesserung der mechanischen Trennung des Hafenschlicks der belastete und an Land abzulagernde Schlickanteil um 25 Prozent verringert werden. Er wird mittlerweile im Hafenbau verwendet, und auch zur Herstellung von Ziegelsteinen eingesetzt. Weitere Wiederaufbereitungsmöglichkeiten werden erprobt. Darüber hinaus hat sich die Gewässerqualität der Elbe deutlich verbessert und dadurch die Schadstoffbelastung des Baggerguts verringert.

Die Rahmenvereinbarung mit Hamburg kann daher auch ohne den Bau einer neuen Deponie erfüllt werden. Nachdem sich bereits im Novenber 1996 alle Fraktionen im Kieler Landtag für ein Ende der Planungen der Hafenschlickdeponie Bovenau ausgesprochen hatten, verkündete die rot-grüne Landesregierung im Juni 1999 endgültig das Aus für die Deponie Bovenau.

Letztendlich haben die Bewohner Sehestedts ihr Recht bekommen. Dies wäre ohne den beständigen Druck nicht möglich gewesen. In ihren Aktivitäten ist sie zum Vorbild für Aktionen anderer Gemeinden geworden. Die Gemeinde Sehestedt hat aber über den gemeinsamen Widerstand aller an innerer Stärke gewonnen, und die Verbundenheit mit den Nachbargemeinden insbesondere Bovenau ist gewachsen.